(Anscheins-) Vollmacht des Architekten

OLG Dresden, Urteil vom 22.09.2010 – 6 U 61/05

1.  Die Originäre Architektenvollmacht beinhaltet nicht das Recht zur Erteilung von Nachträgen. Insbesondere der bauleitende Architekt ist grundsätzlich nicht zur Beauftragung von Nachträgen bevollmächtigt.

2.  Eine Anscheinsvollmacht des Architekten ist anzunehmen, selbst wenn der Bauherr das Handeln seines Architekten nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und des Weiteren der Auftragnehmer nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Bauherr dulde und billige das Handeln des Architekten.

Sachverhalt

Es handelt sich um eine klassische Situation im Baurecht: der Bauunternehmer verlangt von dem Bauherren die Bezahlung strittiger Nachträge. Der Bauherr beruft sich darauf, dass er die Nachträge nicht selbst beauftragt habe. Diese wurden ausschließlich von dem bauleitenden Architekten erteilt. Der Bauherr selbst hatte an einigen Baubesprechungen, in denen Nachträge erörtert worden sind, teilgenommen und darüber hinaus Abschlagsrechnungen bezahlt, die auch von dem Architekten erteilte Nachträge enthielten und in seiner Rechnungsprüfung freigegeben worden waren.

Entscheidung

Das Bauunternehmen erhält Recht; das Oberlandesgericht Dresden verurteilte den Bauherrn zur Zahlung. Grundsätzlich kann ein bauleitender Architekt zwar keine Vertragsänderungen vornehmen und damit auch keine Nachträge erteilen, da dessen originäre Vollmacht nicht so weit reicht. Es gilt insoweit noch immer das geflügelte Wort „die Vollmacht des Architekten endet dort, wo das Portmonee des Bauherren anfängt.“

Vorliegend aber lag zumindest aus Sicht des Gerichts eine sogenannte Anscheinsvollmacht vor. Der Architekt hat also nach außen hin den Eindruck vermittelt, er sei von dem Bauherren dazu ermächtigt, die Nachträge zu erteilen. Für die Annahme einer solchen Anscheinsvollmacht reicht es nach Auffassung des Gerichts aus, dass der Bauherr das Verhalten des Architekten bei verkehrsüblicher Sorgfalt hätte erkennen können. Auf eine tatsächliche Kenntnis kommt es nicht an. Allein aufgrund der Tatsache, dass der Bauherr an einigen Baubesprechungen teilgenommen und die Abschlagsrechnungen bezahlt hat, die auch einen Teil der strittigen Nachträge enthielten, konnte das Bauunternehmen annehmen, der Architekt handele in Kenntnis und mit Duldung des Bauherren.

Praxishinweis

Die Entscheidung entspricht den Grundsätzen der Rechtsprechung zu der Frage nach der Vollmacht eines Architekten. Sie zeigt abermals auch, welche Risiken für den Bauherren bestehen, wenn er seinen Architekten/Bauleiter gewähren lässt, ohne dessen Tätigkeit genauer zu überprüfen. Für Bauherren/Auftraggeber empfiehlt es sich also, gegebenenfalls dem Handeln des Architekten Einhalt zu gebieten. Bereits im Architekten-, aber vor allem auch im Bauvertrag kann zudem klargestellt werden, in welchem Umfange der Architekt zur Erteilung von Nachträgen berechtigt ist. Zudem sollte ein Bauherr trotz Rechnungsfreigabe durch den Architekten auch die ihm übersandten Abschlagsrechnungen genauestens dahingehend überprüfen, ob Nachträge frei gegeben worden sind. Das Urteil verdeutlicht aber auch die Risiken für einen Architekten. Denn sollte sich im Einzelfall herausstellen, dass dessen Tätigkeit nicht durch eine Anscheins- oder sogenannte Duldungsvollmacht gedeckt ist, handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht und muss für die von ihm zu Unrecht ausgelösten Kosten möglicherweise persönlich einstehen.

Thorsten Krull
Rechtsanwalt