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Zur Frage der Minderung wegen Baulärms in der Nachbarschaft neigt die Rechtssprechung der Berliner Gerichte – zumindest was die überwiegende Anzahl veröffentlichter Entschei-dungen betrifft – tendenziell dazu, dass ein Minderungsrecht des Mieters ausgeschlossen sein kann. Entscheidungen aus anderen Großstädten (hier Hamburg) sind uneinheitlich, in der obergerichtlichen Rechtssprechung findet sich die „Berliner“ Tendenz wieder.
Wir setzen uns im Folgenden mit der Rechtssprechung der Gerichte auseinander; zitierte Entscheidungen sind:
Kammergericht Berlin, Urteil vom 03.06.2002 GZ: 8 U 74/01
LG Berlin, Urteil vom 15.08.2003 GZ: 29 O 493/02
LG Berlin, Urteil vom 28.06.2006 GZ: 72 S 73/06
LG Berlin, Urteil vom 09.11.2007 GZ: 63 S 155/07
AG Mitte, Urteil 27.11.2007 GZ: 9 C 260/07
AG Pankow/Weißensee vom 21.04.2009 GZ: 102 C 39/09
AG Pankow/Weißensee vom 07.05.2009 GZ: 102 C 39/09
Alles begonnen hatte mit der Entscheidung des Kammergerichts vom 03.06.2002:
„Ist bereits bei Abschluss des Mietvertrages erkennbar, das im Hinblick auf die ältere Bausubstanz mit Bautätigkeit in der weiteren räumlichen Umgebung des Mietobjekts gerechnet werden muss, so ist eine Mietminderung wegen der mit den Bauarbeiten verbundenen Lärm- und Schmutzimmissionen nicht gerechtfertigt. Der Vermieter schuldet dem Mieter in diesem Fall nur die um das Risiko derartiger baulicher Maß-nahmen verminderte Gebrauchsgewährung.“
Die Entscheidung wurde kontrovers diskutiert; erst nach und nach wurden weitere Urteile Berliner Gerichte veröffentlicht.
Die 63. (Mietrechtsberufungs-) Kammer (zuständig für Berufungsverfahren gegen Urteile des AG Mitte) hat mit recht jungem Urteil vom 09.11.2007 zum Aktenzeichen 63 S 155/07 ent-schieden (Orientierungssatz):
„War für den Mieter schon bei Abschluss des Mietvertrages erkennbar, dass in der weiteren räumlichen Umgebung mit Bautätigkeit gerechnet werden muss (hier: wegen einer Baulücke auf einem verwilderten Nachbargrundstück), steht ihm kein Minde-rungsrecht wegen Baulärms zu.“
Das Gericht führt in seiner Begründung aus:
„Dementsprechend kommt es für die Sollbeschaffenheit der Mietsache nicht auf die individuell für sich behaltende Vorstellung einer Partei an, sondern auf das objektiv zur Kenntnis zu Nehmende, vorliegend die angrenzende Baulücke mit wildem Busch- und Strauchwerk sowie mit wild wachsenden Bäumen.“
Es kommt für die 63. Kammer maßgeblich darauf an, dass bei Anmietung der Wohnung für den Mieter objektiv erkennbar gewesen ist, dass mit Bautätigkeiten in direkter Nachbarschaft gerechnet werden muss. Auf eine mangelhafte individuelle Kenntnis kommt es nicht an. Mit anderen Worten: Positive Kenntnis davon, dass Baumaßnahmen stattfinden werden, ist kei-ne Voraussetzung für den Ausschluss des Minderungsrechtes.
Die Richterkollegen der 62. Kammer hatten noch einige Monate zuvor in ihrer Entscheidung vom 02.04.007 (AZ 62 S 82/06) ausgeführt, dass der Sanierungsbedarf in der Nachbarschaft bei Vertragsschluss „offensichtlich“ gewesen sein muss:
„In Wohngebieten mit Altbaubestand muss zwar regelmäßig mit baulichen Verände-rungen und Reparaturen an Nachbargebäuden gerechnet werden, vor allem auch mit Fassadenerneuerungen. Das gilt jedoch nicht für eine komplette Entkernung dieser Gebäude und die damit verbundenen erheblichen Baumaßnahmen. Anders ist es, wenn der Vermieter substanziiert darlegt, dass im Hinblick auf den erkennbaren Sa-nierungsbedarf mit Bautätigkeit in der Umgebung des Mietobjekts zu rechnen war. Wäre der Sanierungsbedarf bei Mietvertragsschluss offensichtlich gewesen, wäre ein Minderungsrecht zu verneinen.“
Dieselbe Kammer urteilte bereits ein Jahr zuvor (Urteil vom 28.08.2006 zum AZ: 62 S 73/06) mutiger:
„Ist für den Mieter bereits bei Abschluss des Mietvertrages erkennbar, dass auf einem angrenzenden Fabrikgelände Bauarbeiten zu erwarten sind, kann die letztlich eingetre-tene Störung durch Baulärm als nach dem Mietvertrag vorausgesetzt gelten. Ein An-spruch auf Mietminderung scheidet daher aus.“
In diesem Zusammenhang wird auch auf zwei sehr aktuelle erstinstanzliche Entscheidungen (AG Pankow/Weißensee) vom 21.04.2009 zum Aktenzeichen 102 C 11/09 und vom 07.05.2009 zum Aktenzeichen 102 C 39/09 verwiesen. Das Gericht führte aus (Leitsatz):
„Eine Mietminderung für Baulärm scheidet aus, wenn eine Baulücke im innerstädti-schen Bereich geschlossen wird.“
Interessant ist der Einblick in die Entscheidungsfindung des Gerichtes:
„In dem Rechtsstreit weist das Gericht ergänzend darauf hin, dass es nach erneuter Prüfung der zitierten Rspr. der beiden Berufungskammern und des Kammergerichts und Diskussion mit den Kollegen seine Ansicht geändert hat und eine Minderung hier für unzulässig hält, da in einer Großstadt immer damit gerechnet werden muss, dass Baulücken geschlossen werden und insofern der "Mangel" von Anfang an bekannt war. Ob die Lücke kriegsbedingt ist oder nicht, wird hiergegen nicht als entschei-dungserheblich angesehen. Bei im Übrigen geschlossener Bebauung ist es nahe lie-gend, dass jederzeit eine vorhandene Lücke durch eine Neubau geschlossen werden kann, es sei denn es gibt eine Widmung als Spielplatz, Friedhof oder ähnliches.“
Der Vollständigkeit halber verweisen wir auf ein Urteil aus dem Gewerbemietrecht des LG Berlin (29. ZK) vom 15.08.2003 zum Aktenzeichen 29 O 493/02. Das Landgericht Berlin hat-te in dieser Entscheidung darauf verwiesen, dass eine Minderung wegen späterer Beein-trächtigungen aus der Nachbarschaft deshalb nicht in Betracht kommt, weil bei Vertrags-schluss für den Mieter erkennbar war, dass Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück statt-finden könnten. Das Gericht verwendete in diesem Zusammenhang das Wort „Risiko“.
Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich, dass es erstinstanzliche Entscheidungen (hier AG Mitte vom 27.11.2007 zum Aktenzeichen 9 C 260/07) gibt, die ein Minderungsrecht anneh-men:
„Das Minderungsrecht des Mieters ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil im Hinblick auf die ältere Bausubstanz Bautätigkeit in der weiteren räumlichen Umgebung des Mietobjekts bereits bei Abschluss des Mietvertrages ortsüblich war und deshalb das Risiko derartiger baulicher Maßnahmen dem Vertragsschluss mit zu Grunde lag.“
Es sind weitere, unveröffentlichte Entscheidungen bekannt, die ein Minderungsrecht in der hier besprochenen Konstellation bejahen und sich damit über die zweitinstanzliche Recht-sprechung hinwegsetzen. In einem aktuellen Verfahren vor dem AG Mitte (AZ 113 C 29/09) positionierte sich der Richter im Rahmen eines stattgebenden PKH-Beschlusses dahinge-hend, dass der Mieterin ein Minderungsrecht zustehe (Bautätigkeiten des Nachbarn; Baulü-cke im Sanierungsgebiet explizit ausgewiesen).
Die Amtsgerichte entscheiden nach wie vor uneinheitlich; das AG Pankow scheint für sich insgesamt eine Linie (die des Land- und Kammergerichtes) gefunden zu haben. Am AG Mit-te differieren die Meinungen noch.
Fazit
Minderungen wegen Baulärms kann und sollte (Haftung der Verwaltung!) auf der Basis der hier dargestellten (überwiegend ein Minderungsrecht ablehnenden) Rechtsprechung entge-gengetreten werden. Natürlich muss jeder Einzelfall sorgfältig geprüft werden, denn es kommt auf die Erkennbarkeit von Bauarbeiten in der Zukunft bereits bei Mietvertragsschluss an. Außerdem sind Konstellationen denkbar, bei denen dennoch ein Minderungsrecht in Frage kommt, z. B., wenn eine besonders intensive und langwierige Bautätigkeit vorliegt.