Der Bundesgerichtshof hat Anfang 2014 entschieden, dass beim Kindesunterhalt bezüglich der Erwerbsobliegenheiten des Vaters eines minderjährigen Kindes strenge Maßstäbe anzulegen sind. Insbesondere rechtfertigen die Umstände, dass der Unterhaltspflichtige aus dem Ausland stammt und über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt nicht zwingend die Schlussfolgerung, dass für einen solchen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance im Hinblick auf eine Vollzeitstelle bestehe.
Sachverhalt
Antragsteller in dem Verfahren ist der am 08.10.2004 geborene Sohn des Antragsgegners. Der Antragsgegner (der Kindesvater) ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Herkunft. Er lebt seit 2001 in Deutschland. Der Antragsgegner verfügt über einen Realschulabschluss, jedoch nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Die Anwälte des Antragstellers verlangen vom Antragsgegner die Zahlung des sogenannten Mindestunterhaltes nach der Düsseldorfer Tabelle. Nach der 2. Altersgruppe der Düsseldorfer Tabelle (6 bis 11 Jahre) entspricht dies derzeit (2014) einem Zahlbetrag in Höhe von 272,00 EUR.
Die Beteiligten streiten im Wesentlich darüber, ob sich der Antragsgegner hinreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat. Die Anwälte des Vaters sind der Auffassung, er könne auch im Rahmen einer Vollzeittätigkeit nicht genügend verdienen, um den geforderten Kindesunterhalt zu zahlen.
Das Amtsgericht hat den Antragsgegner zur Zahlung des beantragen Kindesunterhaltes verpflichtet. Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main hat den Unterhaltsantrag abgewiesen. Der BGH musste dann in letzter Instanz über die Sache entscheiden.
Hintergründe
Wer sein minderjähriges Kind nicht schwerpunktmäßig betreut, muss gem. § 1601 BGB Kindesunterhalt zahlen.
Begrenzt wird die Kindesunterhaltsverpflichtung durch die sogenannte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners gem. § 1603 BGB. Der Unterhaltsschuldner soll nicht seinerseits durch die Zahlung von Kindesunterhalt zu einem Sozialfall werden. Einem Unterhaltsschuldner soll daher für den eigenen Lebensunterhalt der sog. Selbstbehalt verbleiben. Gemäß der aktuellen Düsseldorfer Tabelle (2014) sind dies bei einem Unterhaltsschuldner 1.000,00 EUR monatlich.
Nun ist es aber nicht so, dass der Verpflichtete beim Kindesunterhalt immer wenn er lediglich Einkünfte unterhalb von 1.000,00 EUR monatlich oder ggf. auch gar keine Einkünfte erziel, keinen Kindesunterhalt zahlen muss. In § 1603 Abs. 2 BGB sind die vor allem bei minderjährigen Kindern geltenden gesteigerten Erwerbsobliegenheiten eines Unterhaltsschuldners geregelt. Der nicht betreuende Elternteil eines minderjährigen Kindes muss alles in seiner Macht stehende tun, um seine Erwerbsfähigkeit optimal auszuschöpfen und eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entspricht. Zum Teil verlangt die Rechtsprechung hier, dass ein Unterhaltsschuldner pro Monat 20 bis 30 Bewerbungen schreibt.
Soweit der Verpflichtete diesen Erwerbsobliegenheiten nicht nachkommt, können diesem dann sogenannten fiktive Einkünfte unterstellt werden, die seinen Ausbildungsverhältnissen und seinen persönlichen Fähigkeiten entsprechen.
In der Vergangenheit waren die Gerichte hier zum Teil sehr streng und haben potentiellen Unterhaltsschuldnern zum Teil sehr großzügig fiktive Einkünfte unterstellt und sind folglich von einer Leistungsfähigkeit beim Kindesunterhalt ausgegangen. Das Bundesverfassungsgericht hat dann in einer Entscheidung vom 11.03.2010 zu Aktenzeichen 1 BvR 3031/08 dieser Praxis ein Ende gesetzt. Laut der damaligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes können einem Unterhaltsschuldner nur solche fiktiven Einkünfte unterstellt werden, die er nach seinen Erwerbsfähigkeiten auch realistischer Weise erzielen kann.
Mit den Problemen der gesteigerten Erwerbsobliegenheiten und fiktiven Einkünften hatte sich nun der Bundesgerichtshof in dem aktuellen Fall erneut zu befassen.
Entscheidung
Der BGH hat entschieden, dass im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht gem. § 1603 Abs. 2 BGB für die Feststellung, dass für einen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance besteht, ein strenger Maßstab anzulegen ist. Laut BGH wird für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit regelmäßig kein Erfahrungssatz dahin gebildet werden können, dass sie nicht in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln seien. Dies gelte auch für ungelernte Arbeitskräfte oder für Ausländer mit eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen.
Zu den Erwerbsobliegenheiten eines Unterhalsschuldners gehöre es auch, dass sich der Unterhaltspflichtige um eine Verbesserung seiner deutschen Sprachkenntnisse bemüht.
Schließlich betont der Bundesgerichtshof noch, dass der Nachweis eines Unterhaltsschuldners dafür, dass für ihn keine reale Erwerbsmöglichkeit für eine Vollzeittätigkeit besteht, regelmäßig nur dadurch geführt werden kann, dass sich der Unterhaltsschuldner hinreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht. Dies bedeutet dann eben, dass ein Unterhaltsschuldner rund 20 bis 30 erfolglose Bewerbungen pro Monat vorweisen können muss.
Da in dem Fall des BGH eine endgültige Aufklärung des Sachverhaltes noch nicht erfolgt war, wurde die Sache zur endgültigen Entscheidung an das Oberlandesgericht Frankfurter/Main zurückverwiesen.
Praxishinweis
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird in der Praxis zur Folge haben, dass es Unterhaltsschuldnern (wieder) wesentlich schwerer fallen wird, sich auf einen Mangel der Leistungsfähigkeit zu berufen. Auch ein ungelernter Unterhaltsschuldner ohne abgeschlossene Berufsausbildung wird einen Nachweis, er könne eine den Kindesunterhalt deckende Vollzeittätigkeit nicht bekommen nur dann führen können, wenn er sich tatsächlich erfolglos beworben hat.
Ob die Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofes aber tatsächlich auf das gesamte Bundesgebiet übertragbar sind, ist aus unserer Sicht fraglich. In strukturschwächeren Regionen insbesondere auch in der Region Berlin-Brandenburg ist es nach unserer Einschätzung tatsächlich fraglich, ob ein ungelernter Arbeitnehmer auch bei einer Vollzeitbeschäftigung tatsächlich so viel verdienen kann, um den Mindestunterhalt abzudecken.