Nach § 6 Abs. 2 HOAI 2009 – der dem § 6 Abs. 3 HOAI in der seit dem 17.07.2013 geltenden Fassung entspricht – können Bauherr und Architekt, wenn zum Zeitpunkt der Beauftragung noch keine Planungen als Voraussetzung für eine Kostenschätzung oder Kostenberechnung vorliegen, schriftlich vereinbaren, dass das Honorar auf der Grundlage der anrechenbaren Kosten einer Baukostenvereinbarung nach den Vorschriften der HOAI berechnet wird. Dabei sind nachprüfbare Baukosten einvernehmlich festzulegen.
Der BGH hat nun im Rahmen eines zivilrechtlichen Klageverfahrens, mit dem die Zahlung von Architektenhonorar begehrt wurde, entschieden, dass der Verordnungsgeber mit § 6 Abs. 2 HOAI 2009 gegen die in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage enthaltene Vorgabe, Mindest- und Höchstsätze für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Honorarordnung verbindlich festzulegen, verstoße. Denn die Vorschrift gebe den Parteien die Möglichkeit, das Honorar auf der Grundlage einer einvernehmlichen Festlegung der Baukosten unterhalb der Mindestsätze oder oberhalb der Höchstsätze zu vereinbaren, ohne dass die Voraussetzungen vorlägen, unter denen eine Abweichung von diesen Sätzen zulässig ist. Die Regelung des § 6 Abs. 2 HOAI sei schon deshalb unwirksam, weil sie durch eine derartige Vereinbarung die Unterschreitung von Mindestsätzen zulasse, ohne dass ein in der Ermächtigungsgrundlage geregelter Ausnahmefall vorliege.
Die gesetzliche Ermächtigung (geregelt im Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 04.11.1971 - MRVG) zwinge den Verordnungsgeber, ein für den Architekten oder Ingenieur auskömmliches Mindesthonorar festzusetzen, das durch Vereinbarung nur in Ausnahmefällen unterschritten werden kann. Dabei sei den berechtigten Interessen der Architekten und Ingenieure und der Auftraggeber Rechnung zu tragen. Die Ermächtigung lasse keine Regelung in der Honorarordnung zu, nach der das Honorar frei unterhalb des auskömmlichen Honorars vereinbart werden kann, obwohl kein Ausnahmefall vorliegt. Denn damit würde der Zweck des Gesetzes, Architekten und Ingenieure vor einem ruinösen Wettbewerb zu schützen, der sich auf die Qualität der Leistung auswirken kann, verfehlt. Eine derartige Regelung liege nicht nur vor, wenn das Honorar frei unterhalb des Mindesthonorars verhandelt werden könne, sondern auch dann, wenn diejenigen Faktoren ausgehandelt werden können, die die Berechnung des Mindesthonorars bestimmen. Denn es mache in der Sache keinen Unterschied, ob das Honorar ohne Rücksicht auf diese Faktoren, wie z. B. bei der Vereinbarung eines Pauschalhonorars, unterhalb des Mindesthonorars vereinbart wird oder ob die Mindesthonorarunterschreitung dadurch bewirkt wird, dass innerhalb des in der Verordnung vorzusehenden Berechnungssystems für die Ermittlung des Mindesthonorars Vereinbarungen getroffen werden, die zu einer Mindestsatzunterschreitung führen.
Die Regelung des § 6 Abs. 2 HOAI 2009 könne laut BGH dazu führen, dass Auftraggeber auf Architekten und Ingenieure einen unangemessenen Wettbewerbsdruck ausüben, indem sie ihre Vorstellungen von den Baukosten vorgeben und gleichzeitig erkennen lassen, dass sie, wenn diese Kosten nicht akzeptiert werden, mit einem anderen Architekten verhandeln werden. Auf diese Weise könnten Architekten und Ingenieure in die Lage gebracht werden, zur Vermeidung der Auftragserteilung an einen Konkurrenten diese Vorstellungen zu akzeptieren. Wären Architekten und Ingenieure an diese Vereinbarung auch dann gebunden, wenn die sich aus § 6 Abs. 1 HOAI 2009 ergebenden Mindestsätze unterschritten sind, wäre das gesetzgeberische Ziel, Architekten und Ingenieuren ein Mindesthonorar zu garantieren, solange kein Ausnahmefall vorliegt, verfehlt.
Die Unwirksamkeit von § 6 Abs. 2 HOAI 2009 habe laut BGH allerdings nicht zur Folge, dass die Vertragsparteien gehindert seien, eine Honorarvereinbarung im Rahmen der Mindest- und Höchstsätze wirksam zu treffen, in der die anrechenbaren Kosten oder die ihnen zugrunde liegenden Faktoren festgelegt werden. Eine solche Vereinbarung sei wirksam, wenn sie nicht dazu führt, dass die Mindestsätze der HOAI unterschritten oder die Höchstsätze überschritten werden.