Eine Erbengemeinschaft kann mit Stimmenmehrheit einen Miterben zur Einziehung einer Nachlassforderung ermächtigen.

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BGH, Urteil vom 19.09.2012, Az. XII ZR 151/10

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Erbengemeinschaft mit der Mehrheit der Stimmen ihrer Mitglieder einen der Miterben zur Einziehung einer Nachlassforderung ermächtigen kann, sofern dies einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht.

Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird auch für Erbengemeinschaften in Berlin, zum Beispiel in den Bezirken Prenzlauer Berg sowie Berlin-Mitte, aber auch Berlin Pankow und Friedrichshain, wichtig sein.

Sachverhalt

Es geht um eine Erbengemeinschaft, bestehend aus zwei Miterben. Der Miterbe zu 1) verfügt über einen Mehrheitsanteil von ¾; der Erbe zu 2) ist mit ¼ an der Erbengemeinschaft beteiligt. Die Erbengemeinschaft ist Gläubigerin einer Forderung in Höhe von 14.863,10 EUR zuzüglich Zinsen. Dabei handelt es um Mietrückstände.

Schuldner der Forderung ist eine GmbH. Das Pikante an diesem Fall: Der Miterbe zu 1) (Mehrheitsanteil) ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH, die die rückständige Miete schuldet.

Der Mehrheitserbe zu 1) hat unter der Kontobezeichnung „Erbengemeinschaft A.G.“ ein Bankkonto eröffnet. Auf dieses Konto hat dann die Schuldnerin, also die GmbH, die rückständige Miete in Höhe von knapp 15.000,00 EUR zuzüglich Zinsen eingezahlt.

Die Anwälte des Miterben zu 2) sind nun der Auffassung, die Forderung in Höhe von knapp 15.000,00 EUR sei durch Zahlung auf das vom Miterben zu 1) eingerichtete Konto nicht ordnungsgemäß erfüllt worden. Der Miterbe zu 2) habe einer Zahlung auf dieses Konto nicht zugestimmt. Die Forderung bestehe daher fort.

Zu den Hintergründen

Der Fall des Bundesgerichtshofs beschäftigt sich mit der im Erbrecht seit Langem umstrittenen Frage, ob eine Mehrheit von Erben im Ergebnis über Nachlassgegenstände verfügen kann.

Gem. § 2040 BGB können Erben über einen Nachlassgegenstand grundsätzlich nur gemeinschaftlich – also mit Zustimmung aller Erben – verfügen.

Gem. § 2038 i. V. m. § 745 BGB sind Mehrheitsentscheidungen unter Miterben im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses allerdings möglich.

Im Jahr 2009 hatte der BGH bereits entschieden, dass im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung die Mehrheit einer Erbengemeinschaft zur Kündigung eines Mietverhältnisses berechtigt ist.

Weitere Informationen, die für Mieter bzw. Erben aus Berlin, z. B. aus den Bezirken Prenzlauer Berg oder Pankow, interessant sein könnten, finden Sie hier.

Die Entscheidung

Der BGH hat entschieden, dass die Mietforderung durch Zahlung auf das von dem Miterben zu 1) eingerichtete Konto erloschen ist. Zur Entgegennahme der Zahlung war der Erbe zu 1) aufgrund der durch seine Anteilsmehrheit am Nachlass ermöglichten Einziehungsermächtigung befugt.

§ 2040 BGB – also der Grundsatz der gemeinschaftlichen Verfügung über Nachlassgegenstände – stehe der Erfüllung nicht entgegen. Gem. der Rechtsprechung des BGH schließe die Einordnung einer Maßnahme als Verfügung gem. § 2040 BGB nicht aus, dass es sich zugleich um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung i. S. d. § 2038 Abs. 1 BGB handeln kann, die als solche von den Miterben mehrheitlich beschlossen werden kann. Laut BGH stellt die Einziehung einer Forderung letztendlich eine Maßnahme der laufenden Verwaltung des Nachlasses dar. Hier bedürfe es nicht des gemeinschaftlichen Handelns der Miterben, sondern die Einziehung einer Forderung könne von den Miterben mit Stimmenmehrheit beschlossen werden.

Der Bundesgerichtshof störte sich auch nicht daran, dass es sich bei dem Miterben zu 1) um den alleinigen Gesellschafter/Geschäftsführer der Schuldnerin (der GmbH) handelte. Eine Interessenkollision hat der BGH vor allem deshalb nicht gesehen, weil die Entgegennahme einer Leistung (der Mietforderung) für die Erbengemeinschaft ein ausschließlich vorteilhaftes Geschäft sei.

Praxishinweis

Streitigkeiten unter Miterben, auch in Berlin, sind für die Betroffenen häufig emotional sehr belastend. Da viele Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, sind Streitigkeiten in Erbengemeinschaften oft auch rechtlich nur schwer zu lösen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs lässt eine vorsichtige Tendenz dahingehend erkennen, dass auch Verfügungen über Nachlassgegenstände – wenn sie einer ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechen – einfacher möglich sind.

Sebastian Weiß
Fachanwalt für Erb- und Familienrecht
Rechtsgebiet
Erbrecht
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Familienrecht