Sachverhalt
Der Eigentümer eines Wohnhauses im Geltungsbereich der Erhaltungsverordnung (hier: Milieuschutzverordnung nach § 172 Abs.1 Nr. 2 BauGB – Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung) "Arnimplatz" erhielt für den Anbau des Aufzuges eine nur eingeschränkte Baugenehmigung, die zwar den Anbau des Aufzuges zum Inhalt hatte, jedoch lediglich einen Ein- und Ausstieg im Erdgeschoss und einen Ein- und Ausstieg im 4. OG zur Erschließung der Dachgeschosswohnungen erlaubte. Der Eigentümer stellte wenig später einen Nachtragsantrag, mit dem die Genehmigung des Baus eines weiteren Ein- und Ausstieg zwischen dem 2. und 3. OG begehrt wurde.
Das Bezirksamt versagte die Erteilung einer Genehmigung mit Hinweis darauf, dass die Anbindung des Aufzuges an alle Wohnungsebenen geeignet sei, die Zusammensetzung der ansässigen Wohnbevölkerung zu gefährden. Dies sei nicht mit den Zielen der Erhaltungsverordnung vereinbar, denn durch die Erreichbarkeit aller Wohnungen mittels Aufzug würden diese Wohnungen aufgewertet werden. Damit eröffneten sich Mieterhöhungsmöglichkeiten, die Einkommensschwache und Durchschnittsverdiener im Ergebnis verdränge.
Die Entscheidung des Verwaltungsberichtes Berlin
Das Verwaltungsgericht orientiert sich strikt an der Gesetzeslage (§ 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BauGB), wonach die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn die Änderung einer baulichen Anlage der Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungsstandards entspricht. Mit dieser Öffnungsklausel hat der Gesetzgeber ausschließen wollen, dass im Geltungsbereich von Erhaltungsverordnungen Standards festgeschrieben werden, die mit den heutigen Lebensbedingungen und auch Wohnansprüchen nichts gemeinsam haben. Das Verwaltungsgericht nennt diese zu vermeidenden Standards "Substandards" und bezieht sich auf grundsätzliche Erwägungen des Oberverwaltungsgerichtes Berlin und des Bundesverwaltungsgerichtes (hier insbesondere auf die Entscheidung vom 17.12.2004 zum GZ 4 B 85/04 - Kein Genehmigungsvorbehalt für Änderung baulicher Anlagen ohne Auswirkung auf Zusammensetzung der Wohnbevölkerung).
Im konkreten Fall angewandt kommt das Gericht zu dem Schluss, dass ein Aufzugsanbau unter Berücksichtigung der Regelung des § 39 Abs. 4 BauOBln zur Herstellung eines "nur" zeitgemäßen Zustands des Hauses führt. Das Vorhandensein dieser bauordnungsrechtlichen Mindestanforderung hätte Indizwirkung dafür, dass es um die Herstellung genau dieses Zustandes gehe.
Das Gericht befasst sich auch mit der Frage des Verdrängungsdruckes, der durch die Baumaßnahme ausgelöst wird und gegen eine Genehmigungsfreiheit der baulichen Veränderung sprechen könnte. Hierzu führt es aus, dass im Mietspiegel 2011 das Vorhandensein eines Aufzuges in Häusern mit mehr als 5 Geschossen (also die klassische Konstellation EG, 1. OG - 4. OG und Dachgeschoss) nicht mehr als wohnwerterhöhendes Merkmal ausgewiesen wird. Mögliche Mieterhöhungen nach dem Mietspiegel hielten sich also aufgrund dieser Tatsache in Grenzen. Der Aufzug wird eher als Verdrängungsbremse wahrgenommen, denn älteren Menschen, die schon länger in dem Gebiet wohnen, können trotz eingeschränkter Mobilität in ihren angestammten Quartieren bleiben.
Anmerkung
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, da das Land Berlin (Bezirksamt Pankow) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes eingelegt hat. Das Verwaltungsgericht setzt konsequent dort an, wo die Verwaltungsbehörden das juristisch sichere Terrain verlassen: beim Wortlaut der Norm und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Bezirksämter versuchen durch die Verwaltungspraxis Standards zu schaffen, die der Gesetzgeber eben gerade nicht einfrieren wollte. Er wollte lediglich kostenintensive Luxussanierungen verhindern und nimmt dabei ein "gewisses Verdrängungspotenzial" hin. Milieuschutz wird leider als (untaugliches) Mittel verstanden, mit dem versucht wird, verabsäumte Stadtentwicklungspolitik zu "reparieren". Die Förderung von Genossenschaften, eine konsequente und langfristige städtische Sozialwohnungspolitik und nachhaltig gesteuerte Sanierung mit öffentlichen Mitteln können nicht im Nachhinein ersetzt werden. Milieuschutz wie er jetzt praktiziert wird mutet wie der letzte Tropfen auf den (falschen) heißen Stein an. Dass hier Gerichte korrigierend eingreifen, ist begrüßenswert.
Bauherren/Antragstellern einer Baugenehmigung, die einen Ablehnungsbescheid nach § 172 erhalten haben, ist deshalb dringend die anwaltliche Überprüfung durch einen auf dieses Gebiet spezialisierten Anwalt zu empfehlen. Dasselbe gilt natürlich für den Fall, dass die Baubehörde einen entsprechenden Antrag gar nicht bearbeitet. Hier wäre mit einer Untätigkeitsklage zu reagieren. In unserer Kanzlei stehen Ihnen für diese Problemstellungen die Rechtsanwälte Tilo Krause und Thorsten Krull zur Verfügung.