Beschluss des Bezirksamtes Pankow vom 18.12.2012 – Prüfkriterien für Anträge in den Erhaltungsgebieten nach § 172 Abs. 1 S. Nr. 2 BauGB = soziale Erhaltungsgebiete, auch genannt: Milieuschutzgebiete
Einleitung
Große Teile des Berliner Wohnungsbestandes unterfallen dem Geltungsbereich von sogenannten Erhaltungsverordnungen.
Die wohl bekanntesten sind die in Pankow, insbesondere Prenzlauer Berg, zum Beispiel:
•Milieuschutzgebiet Arnimplatz,
•Milieuschutzgebiet Falkplatz,
•Milieuschutzgebiet Humanplatz,
•Milieuschutzgebiet Bötzowstraße.
In Berlin Kreuzberg-Friedrichshain befinden sich ebenfalls große soziale Erhaltungsgebiete:
•Milieuschutzgebiet Luisenstadt,
•Milieuschutzgebiet Graefestraße,
•Milieuschutzgebiet Boxhagener Platz.
Die Aufzählung ist nicht abschließend; eine Auflistung aller Milieuschutzgebiete mit Kartenzugriff finden Sie hier.
Die Verordnungen über die Schaffung der Milieuschutzgebiete sollen sicherstellen, dass die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erhalten bleibt. Das Ziel ist anspruchsvoll; das Mittel des Milieuschutzrechtes hingegen ist nach den bisherigen Erfahrungen nur sehr bedingt tauglich.
An der Tatsache, dass es diese Erhaltungsverordnungen gibt, wird man so schnell nicht vorbeikommen. Im Gegenteil: Pankow plant eine Erweiterung dieser Gebiete auf die ehemaligen Sanierungsgebiete „Helmholtzplatz“ und „Teutoburger Platz“. Den rechtlichen Rahmen für eine Beeinflussung und Steuerung der in diesen Gebieten beabsichtigten Baumaßnahmen stellt § 172 BauGB dar. Dieser Rahmen lässt sich kurz und knapp so beschreiben:
Die Baubehörde darf eine für jede Baumaßnahme erforderliche erhaltungsrechtliche Genehmigung nur dann versagen, wenn die beabsichtigten Änderungen an der Immobilie den zeitgemäßen Ausstattungsstandard durchschnittlicher Wohnungen überschreiten und eine Verdrängung der Bevölkerung zu befürchten ist.
Spannungsfelder zwischen den Bezirksämtern und den Vermietern ergeben sich dann, wenn es unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des „zeitgemäßen Ausstattungsstandards“ gibt, welche es im Hinblick auf die durch die Bezirksämter aufgestellten sogenannten Prüfkriterien, die die Behörde bei der Beurteilung eines Bauantrages heranzieht, gibt.
Die neuen Prüfkriterien im Geltungsbereich des Stadtbezirks Pankow/Prenzlauer Berg
Zunächst muss der Hinweis erfolgen, dass es sich bei diesen Prüfkriterien um eine Fortschreibung der schon bestehenden Prüfkriterien handelt, sodass ganz wesentliche Punkte nicht Neues darstellen. Neu an den Prüfkriterien sind ausgesuchte Reizthemen und das politische Umfeld, das den Milieuschutz als vermeintlich taugliches Steuerungsmittel der Wohnungspolitik versteht. Die teils hitzig und am Thema vorbeigehend geführten Debatten in der Presse dokumentieren die Fokussierung auf dieses rechtliche Mittel der Bezirke. Das breite Problem am Wohnungsmarkt wird damit weder erfasst noch gelöst.
So waren zum Beispiel Grundrissänderungen und die Zusammenlegungen von Wohnungen auch in den alten Prüfkriterien als nicht genehmigungsfähig ausgewiesen mit der Einschränkung, dass diese Zusammenlegungen oder Grundrissänderungen zwingende Folge des Einbaus eines zeitgemäßen Bades in einer einzelnen Wohnung sind oder dadurch gesunde Wohnverhältnisse erstmalig hergestellt respektive gesichert werden.
Außerdem waren und sind Nutzungsänderungen von Wohnraum in Gewerbe in der Regel nicht genehmigungsfähig. Auch fortgeschrieben wurde das Verbot des Einbaus eines zweiten Bades oder WCs, dies allerdings mit der dann doch zeitgemäßen Einschränkung, dass eine Einzelfallregelung in Wohnungen mit vier oder mehr Wohnräumen möglich sei.
In der jetzigen Ausgestaltung neu sind folgende Versagungstatbestände:
•Einbau einer Fußbodenheizung,
•Einbau eines Innenkamins ,
•Schaffung von zur Wohnung gehörigen Stellplatzanlagen,
•Wärmedämmmaßnahmen.
Der Versagungstatbestand „Wärmedämmmaßnahmen“ gilt jedoch mit der Einschränkung, dass diese zur Erreichung der Ziele der Energieeinsparungsverordnung zwingend durchzuführen seien. Dann darf gedämmt werden.
Außerdem hat der Bezirk Pankow im Bereich der sogenannten Ferienwohnungsnutzung einen ganz eigenen Standpunkt in Form eines Antragsprüfkriteriums aufgestellt:
„Die gewerbliche Überlassung von Wohnraum zu Wohnzwecken bis zu einem Zeitraum von 28 Tagen (z. B. Ferienwohnung) stellt eine Nutzungsänderung im Sinne des Erhaltungsrechtes dar und ist nicht genehmigungsfähig.“
Kurze rechtliche Stellungnahme
Die Antragsprüfkriterien sind reine interne Verwaltungsvorschriften. Das bedeutet, dass die unter 2. zitierten Arbeitsanweisungen (Prüfkriterien) nur an die Mitarbeiter der Baubehörde gerichtet sind, die diese bei ihren Entscheidungen über Bauanträge beachten müssen. Eine rechtliche Außenwirkung entfalten sie nicht; eine tatsächliche gleichwohl (siehe unten). Das heißt im Ergebnis, dass jeder, der von der Anwendung der Prüfkriterien negativ betroffen ist, diese durch das Verwaltungsgericht rechtlich überprüfen lassen kann.
Das tatsächliche Problem besteht natürlich darin, dass eine rechtliche Überprüfung der Antragskriterien einen sehr langen Zeitraum in Anspruch nimmt. So hat zum Beispiel das aus dem Bezirk Pankow (Prenzlauer Berg) stammende verwaltungsrechtliche Verfahren von dem Zeitpunkt der Versagung eines Genehmigungsantrages im November 2009 bis zur Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes vom 31.05.2012 über 2 ½ Jahre gedauert. In diesem Verfahren (Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg - OVG 10 B 9/11) ist entschieden worden, dass zur zeitgemäßen Ausstattung eines Gebäudes ein Aufzug gehört und somit durch die Behörde im Rahmen einer erhaltungsrechtlichen Genehmigung keine Versagung der Baumaßnahme ausgesprochen werden darf. An diesem Beispiel zeigt sich: Die falsche rechtliche Auffassung der Verwaltung (Aufzüge nicht genehmigungsfähig) ist von den Gerichten kassiert worden; die Gewaltenteilung funktioniert, dauert aber im Einzelfall.
Erst nach der Entscheidung des OVG (die nicht rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichtes genügte noch nicht) ist der Aufzugsanbau, der in den alten Prüfkriterien des Bezirkes Pankow, aber auch Friedrichshain und Kreuzberg noch als nicht genehmigungsfähig enthalten war, gestrichen oder stark modifiziert worden.
Das offenbart das praktische Problem: Die von den Bezirksämtern aufgestellten Prüfkriterien verhindern solange das konkret begehrte Baurecht (z. B. Grundrissänderungen), solange die Behörde keine anderweitige gerichtliche Entscheidung zu beachten hat. Welche der neuen Antragsprüfkriterien rechtlichen Bestand haben werden und welche nicht, wird die verwaltungsgerichtliche Praxis in den nächsten Jahren zeigen.
Meines Erachtens bestehen erhebliche rechtliche Bedenken gegenüber der geplanten Handhabung von Wärmedämmmaßnahmen, da dieses Prüfkriterium mit höherrangigem Recht kollidiert und sich gegen ein gesamtgesellschaftliches Ziel richtet.
Des Weiteren ist die Handhabung des Verbotes von Grundrissänderungen unter dem Gesichtspunkt mangelnder Verdrängungsgefahr ein rechtliches Streitthema, ebenso wie die Thematik der Ferienwohnungsnutzung (hier jedoch auf verschiedenen komplexen juristischen Ebenen). Mit dem letzteren Prüfkriterium hat der Bezirk Pankow auf die Tatsache reagiert, dass es für ganz Berlin keine Zweckentfremdungsverordnung mit dem pauschalen Verbot von Ferienwohnungen geben wird. Allerdings bewegt sich das Bezirksamt mit seiner Auffassung auf dünnem rechtlichen Eis.
Letztlich bestehen auch erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Handhabung der „Zweitbalkone“, insbesondere dann, wenn eine Wohnung z. B. straßenseitig über einen Balkon verfügt, der jedoch wegen der Lärmbelastung nicht genutzt wird und aufgrund dessen das Bedürfnis besteht, einen hofseitigen Balkon zu bauen.
Praktische Hinweise
Die milieuschutzrechtlichen Themen sind nicht neu, jedoch aufgrund politischer Motivationen weitaus komplexer in ihrer Handhabung geworden. Jeder Bauherr wird also auf eine erhöhte Sensibilität in den Bezirksämtern stoßen.
Für den Vermieter, der ein Haus komplett sanieren und modernisieren will, stellen sich viele Einzelfragen in einem politisch rege diskutierten Umfeld. Deshalb gilt umso mehr, diese milieuschutzrechtlichen Aspekte im Vorfeld mit der Behörde zu besprechen. In vielen Punkten wird sich eine Praxisrelevanz einzelner Punkte auch gar nicht ergeben. So ist nur schwer vorstellbar, dass der Vermieter von Altbauwohnungen Fußbodenheizungen oder teure Zweitbadeinbauten vornehmen wird. Allerdings können Grundrissveränderungen durchaus sinnvoll und gewünscht sein. Diese Themen mit der Behörde zu besprechen und Konsenslösungen zu suchen, sollte der Ansatz des Vermieters/Bauherrn sein.
Soweit sich ein solcher Konsens nicht herstellen lässt, bliebe in letzter Konsequenz nur der Weg zum Verwaltungsgericht, entweder im Rahmen der Anfechtung einer Versagung von einzelnen Baumaßnahmen durch die Behörde oder – zumindest bei einer bereits so genutzten Ferienwohnung – im Rahmen einer Versagungsverfügung des Bezirksamtes.
Bei dem Erwerb einer Immobilie im Geltungsbereich einer sozialen Erhaltungsverordnung sind die hier skizzierten Themen in das Verwertungskonzept zu integrieren; rechtliche Besonderheiten (z. B. Milieuschutz und Eigennutzung der Wohnung; öffentlich-rechtliche Verträge) müssen in besonderer Form Eingang in Verträge und die Kommunikation der Vertragspartner finden.
Fazit
Die Sinnhaftigkeit und Effektivität von milieuschutzrechtlichen Instrumentarien sollen an dieser Stelle nicht vertieft werden. Es ist allerdings offenkundig, dass mit milieuschutzrechtlichen Mitteln die Mietpreisentwicklung nicht aufgehalten bzw. nur ganz marginal beeinflusst werden kann. Dieser Punkt verdient Erwähnung, da die Verfechter einer restriktiven milieuschutzrechtlichen Praxis diesen Zusammenhang unbeirrt herstellen.
Nur eine Erhöhung des Wohnungsangebotes am Markt würde an Mietpreissteigerungen etwas ändern können, denn in erster Linie sind höhere Mieten ein Ergebnis von Knappheit an Wohnraum. Dafür muss auch durch die Stadt und die Bezirke ein investitionsfreundliches Umfeld geschaffen werden; es müssen die Mieterbelange ebenso berücksichtigt werden wie die Tatsache, dass niemand (ungefördert) Wohnungen neu bauen und für 7,50 EUR/m² nettokalt vermieten kann. Des Weiteren muss beachtet werden, dass die Erhaltung von Altbausubstanz Geld kostet. Intelligent gesteuerte Investitionen am Wohnungsmarkt durch private wie auch öffentliche Investoren sind ein Schlüssel zum Erhalt einer ausgewogenen Mieterstruktur. Dafür bedarf es eines durchdachten gesamtgesellschaftlichen Ansatzes. Nur mit diesem hohen Anspruch kann das noch in weiter Ferne liegende Ziel erreicht werden.