Eine Partei ist nach Treu und Glauben daran gehindert, sich auf einen Formmangel nach § 550 BGB zu berufen,
- a) wenn die Parteien im Vertrag für den Fall eines Formmangels eine Nachholung vereinbart haben;
- b) wenn im Vertrag die Einhaltung der Schriftform und der Verzicht auf die Berufung auf § 550 BGB vereinbart ist;
- c) wenn sich die Partei auf den Formmangel beruft, die zuvor längere Zeit besondere Vorteile aus dem Vertrag gezogen hat oder durch eine nicht formgerechte Vertragsänderung begünstigt wird.
Sachverhalt
Zwischen den Parteien wurde im Jahr 2006 ein Gewerbemietvertrag geschlossen, der eine Laufzeit von fünf Jahren aufwies. Die Parteien einigten sich auf eine sogenannte Schriftformrettungs- bzw. Schriftformsanierungsklausel, die wörtlich lautete:
„Den Parteien ist das Schriftformerfordernis nach §§ 550, 526 BGB bekannt. Die Parteien wollen dieses Schriftformerfordernis jetzt und in Zukunft erfüllen. Dies gilt sowohl für den Ursprungsvertrag als auch für sämtliche Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen […]. Sie verpflichten sich auf Anfordern einer Partei etwaige Schriftformmängel unverzüglich zu beheben.“
Im Jahr 2009 kam es zu einer Mietsenkung in nicht unwesentlicher Höhe von 2.300,00 EUR auf 1.500,00 EUR monatlich. Über diese Mietvertragsanpassung wurde kein schriftlicher Nachtrag verfasst; es blieb bei der mündlichen Vereinbarung zwischen den Parteien.
Hintergrund
Ob eine sogenannte Schriftformrettungsklausel den Ausschluss einer Kündigung des an sich befristeten Gewerbemietverhältnisses ausschließt, ist umstritten. Die wohl herrschende Meinung in der Fachliteratur geht von einer Unzulässigkeit der Kündigung aus, weil der Kündigende treuwidrig handelt. Andere vertreten die Ansicht, dass eine Schriftformsanierungsklausel per se unwirksam sei, und halten daher eine Kündigung trotz dieser Klausel für zulässig. Teilweise wird vertreten, dass eine Kündigung nur in besonders krassen Fällen oder nur für den Erwerber möglich sein soll.
In der Praxis hat dieses Thema eine herausragende Bedeutung, da es im Verlauf eines Gewerbemietverhältnisses, das befristet ist, nicht selten zu einer Veränderung der Interessenlagen im Verhältnis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages kommt. In solchen Situationen suchen entweder Mieter oder Vermieter nach dem Schlupfloch, das in der Praxis bekannt ist: die Verfehlung der Schriftform.
Die Entscheidung des OLG Naumburg
Zunächst stellt das OLG Naumburg fest, dass die Änderung des Mietzinses um 800,00 EUR eine wesentliche und damit formpflichtige Änderung der Vertragsbestandteile des befristeten Gewerbemietvertrages gewesen ist. Allerdings sei die Mieterin wegen der durch die Parteien vereinbarten Schriftformrettungsklausel aus Treu und Glauben daran gehindert, das Mietverhältnis unter Berufung auf die Verfehlung der Schriftform ordentlich zu kündigen. Das Gericht begründet seine Ansicht wie folgt:
„Wenn die Parteien eines Mietvertrages festlegen, dass sie für den Fall des Mangels der Schriftform die Nachholung der gesetzlichen Form vereinbaren, können die in § 550 BGB vorgesehenen Rechtsfolgen nicht einschlägig sein.“
Allerdings sei jede Vertragspartei berechtigt, von der anderen Vertragspartei die schriftliche Fixierung des bis dato nur mündlich oder tatsächlich geänderten Vertragsinhaltes zu fordern.
In diesem Fall beruft sich die durch die mündliche Änderung der Mietzinskondition begünstigte Mieterin auf die Verfehlung der Schriftform. Hierzu stellt das OLG Naumburg fest, dass es dem Anstands- und Billigkeitsgefühl widersprechen würde, wenn eine Partei aus einer für sie vorteilhaften Abrede einen weiteren formellen Vorteil ableiten kann.
Im Ergebnis griff die Kündigung der Mieterin nicht durch.
Anmerkungen
Das Urteil steht in einer Reihe mit ähnlich lautenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Köln. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, dass mit einer Schriftformrettungs- bzw. Schriftformsanierungsklausel dem Risiko des Schriftformmangels und damit der vorzeitigen Kündigungsmöglichkeit in einem Gewerbemietverhältnis Einhalt geboten werden kann. Das OLG Naumburg argumentiert nur einseitig mit der gesetzlichen Vorschrift des § 550 BGB und vergisst, dass im Rampenlicht dieser Vorschrift in erster Linie der Erwerberschutz steht. Der Erwerber einer Immobilie soll davor geschützt werden, dass er sich auf langfristige Gewerbemietverträge einlässt, ohne im Endeffekt zu wissen, welche Überraschungen das Vertragswerk bereithält. Deshalb muss mit Spannung eine Entscheidung des BGH zu dieser Frage abgewartet werden. Der BGH reflektiert in seiner Rechtsprechung konsequent den Erwerberschutz. Insofern kann man sich derzeit nur vor dem Hintergrund der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte im Fall des Falles auf die Wirkungen einer Schriftformrettungsklausel stützen. Natürlich sollte man bei der Gestaltung von Mietverträgen darauf achten, eine solche Klausel aufzunehmen.
Auch in der Zukunft gilt jedoch der eiserne Grundsatz: Jede nicht nur unwesentliche Änderung der Mietvertragsinhalte muss unverzüglich unter Bezugnahme auf die bisher schriftlich niedergelegten Regelungen des Gewerbemietvertrages schriftlich (und von beiden Vertragsparteien in zeitlicher Nähe) fixiert werden. Hierbei ist zwar nicht mehr auf eine körperliche Verbindung des Nachtrages mit dem Hauptvertragswerk zu achten, gleichwohl empfiehlt es sich, die Verweisungen auf die bisherigen Vertragstexte sehr ausführlich im Nachtrag kenntlich zu machen.
Das Thema ist ein Dauerbrenner. Die Rechtsprechung der Berliner Gerichte, insbesondere des Landgerichts Berlin und der Amtsgerichte in den Bezirken Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg, Pankow, Weißensee, Friedrichshain und Charlottenburg (fallspezifische Berührungspunkte unserer Arbeit) ist nicht einheitlich. Die Sehnsucht nach einer Entscheidung des BGH ist groß. Wer sich auf die Entscheidung des OLG Naumburg stützt, sollte dies im Auge behalten.