Einwände, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen, ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären.
Problem
Gerade in Bauprozessen, in denen es regelmäßig um die Frage geht, ob die Leistung des Bauun-ternehmers mangelhaft ist oder nicht, kann das Gericht nicht ohne eine umfangreiche Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auskommen. Erfahrungsgemäß besteht auch nach Vorlage eines schriftlichen Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für alle Parteien und insbesondere für das Gericht nicht immer die erforderliche Klarheit über die strittigen Fragen. Die Regel ist, dass beide Parteien dem Sachverständigen Ergänzungsfragen stellen, die dieser entweder schriftlich in einem weiteren Gutachten oder auch im Rahmen einer mündlichen Anhörung vor Gericht beantwortet. Auch dann bleiben regelmäßig Restfragen offen, die nicht zur Zufriedenheit aller Beteiligten geklärt werden können. Teilweise kommt es dann auch zur Einholung eines Obergutachtens, das ebenfalls nur selten zur Klärung aller strittigen Fragen beiträgt.
In vielen Fällen kann sich die jeweils betroffene Partei, die mit dem gerichtlichen Gutachten nicht einverstanden ist, aber dadurch behelfen, dass sie entweder bereits außerprozessual oder aber auch nach Einholung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens selbst ein sogenanntes „Privatgut-achten“ beauftragt und vorlegt. Dieses Gutachten kann/soll sich insbesondere auch mit dem Gerichtsgutachten auseinandersetzen und dieses auf Stichhaltigkeit hin überprüfen.
Für die Gerichte hat sich dabei allerdings immer die Frage gestellt, wie rein prozessual mit dem Privatgutachten umzugehen ist und zwar insbesondere dann, wenn dieses inhaltlich dem gerichtlich eingeholten Gutachten entgegensteht.
Entscheidungen der Gerichte
Zu dieser Frage sind nunmehr innerhalb kurzer Zeit die vier oben zitierten Entscheidungen des BGH ergangen. Hieraus lassen sich nun einige Grundsätze der Rechtsprechung aufstellen, die im Laufe der Zeit immer mehr konkretisiert worden sind:
Ursprünglich hat der BGH ausgeführt, dass der Richter lediglich das Privatgutachten erkennbar verwerten müsse. Sodann wurde entschieden, dass der Richter auch darzulegen hat, warum er ggf. dem gerichtlich eingeholten Gutachten gegenüber dem Privatgutachten den Vorzug gibt. Anfang 2010 entschied der BGH schließlich, dass das Gericht Streitpunkte zwischen Gerichts- und Privatgutachten mit dem gerichtlich bestellten Sachverständigen erörtern und das Ergebnis dessen in den Entscheidungsgründen belegen muss.
In der aktuellsten Entscheidung hat der BGH nun den in der Überschrift zitierten Grundsatz aufgestellt, aus dem sich ergibt, dass das Gericht von Amts wegen eine Klärung der strittigen Fragen herbeiführen muss. Insbesondere ist der Sachverhalt weiter aufzuklären, sofern es hierfür aufgrund des Privatgutachtens Anlass geben sollte.
Praxishinweis
Für die Praxis bedeutet dies zum einen, dass der gerichtliche Sachverständige zu den fachlichen Einwänden, die sich aus dem Privatgutachten ergeben, angehört werden und zu diesem Gutachten inhaltlich Stellung nehmen muss. Zum anderen sollten sowohl Bauherren als auch Bauun-ternehmen sich nicht scheuen, entweder von vornherein einen eigenen Privatgutachter zu beauftragen oder dies zumindest dann zu tun, wenn ein gerichtlich eingeholtes Gutachten hierfür Anlass gibt. Beispielsweise auch dann, wenn es zur Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen vor Gericht kommt, sollten die Parteien ihren Privatgutachter mitbringen, damit dieser gleich auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen reagieren kann. Die Beauftragung eines Privatgutachters ist sicherlich mit weiteren Kosten verbunden. Die Investition kann sich u. U. aber am Ende des Rechtsstreites durchaus auszahlen, zumal diese Kosten in bestimmten Konstellationen sogar erstattungsfähig sind. Auch insoweit zeichnet sich zumindest eine Tendenz in der Rechtsprechung ab, wonach solche Kosten von der unterliegenden Partei erstattet werden müssen, wenn sie prozessbezogen entstanden und zur Rechtsverfolgung notwendig waren. Letzteres ist wiederum der Fall, wenn die Ergebnisse eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens nur mit besonderer Sachkunde zu widerlegen sind.